Leuchtende Nebenschilddrüsenüberfunktion?
Wer denkt schon an vier kleinste Körperchen hinter der Schilddrüse, wenn es um unsere Knochengesundheit geht? Aber genau diese sogenannten Nebenschilddrüsen steuern via Parathormon unseren Kalzium-Haushalt. Ist dieser aus dem Gleichgewicht, resultiert ein erhöhter Kalziumgehalt im Blut, da das Kalzium aus den Knochen herausgelöst wird. Daraus kann eine verminderte Knochendichte bis hin zur Osteoporose entstehen.
Von Dr. med. Franziska Grafen und Dr. med. Julia Kempf
Gerne erläutern wir ausführlich die Zusammenhänge und beleuchten Abklärungsschritte sowie die neuesten operativen Techniken.
Schilddrüsenzentrum Spital Limmattal Interdisziplinarität als Schlüssel zum Erfolg: Seit beinahe eineinhalb Jahren bieten wir unseren Patientinnen und Patienten die optimalen Behandlungsstrategien bei Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenerkrankungen. Dafür arbeiten die Teams der Endokrinologie, endokrinen Chirurgie, Radiologie und HNO-Medizin eng zusammen.
Nebenschilddrüsenüberfunktion
Die Nebenschilddrüse produziert das sogenannte «Parathormon», das bei einer Überfunktion der Nebenschilddrüse zu einem erhöhten Kalziumgehalt im Blut führt. Der häufigste Grund für eine Überfunktion ist eine gutartig vergrösserte Nebenschilddrüse, auch Nebenschilddrüsenadenom genannt. Diese krankhafte Überfunktion nennt man «Primärer Hyperparathyreoidismus». Neben dem negativen Einfluss auf die Knochen können Kalziumsalze zu Nierensteinen führen. Weitere Beschwerden sind beispielsweise Knochenschmerzen, Magenbeschwerden und neuropsychologische Symptome, wie Müdigkeit, Depression und Apathie bis Verwirrung.
Visualisierung einer Schilddrüse mit den vier Nebenschilddrüsen.
Abklärung
Bereits beim Hausarzt kann im Rahmen der jährlichen Blutentnahme das Kalzium mitbestimmt werden. Wenn der Kalziumgehalt erhöht ist, braucht es eine Folgemessung des Kalziums sowie mehrerer anderer Werte. Nur mit diesen lässt sich der komplexe Regelkreis treffend interpretieren, da viele Stoffwechselkreisläufe (Knochen, Niere, Magen-Darm-Trakt) daran beteiligt sind. So lässt sich unterscheiden, ob die Nebenschilddrüse selbst erkrankt ist oder sie auf eine andere Krankheit oder Störung im Körper mit erhöhter Hormonproduktion reagiert, beispielsweise einen Vitamin-D-Mangel.
Neben der zufälligen Erkrankung einer Nebenschilddrüse, die am häufigsten ist, gibt es genetisch bedingte Formen der Nebenschilddrüsenerkrankungen, die familiär gehäuft auftreten können. Diese Erkrankungen gilt es herauszufiltern, da dort mehrere Nebenschilddrüsen betroffen sein können und die Therapie anders geplant werden muss.
Passt die Konstellation zum primären Hyperparathyreoidismus, muss eine Lokalisationsdiagnostik erfolgen, um in Erfahrung zu bringen, welche der – in der Regel vier – Nebenschilddrüsen erkrankt ist. Im Ultraschall können vergrösserte Nebenschilddrüsen dargestellt werden. Ob diese allerdings übermässig aktiv sind, ist erst in der Funktionsdiagnostik, der sogenannten Nebenschilddrüsen-Szintigrafie, sichtbar. Der Vorteil der Bildgebung mittels Szintigrafie ist, dass die überaktiven Nebenschilddrüsen verstärkt aufleuchten, da sie mehr Kontrastmittel aufnehmen als gesunde Nebenschilddrüsen.
Patientenbeispiel
Zuweisung einer Patientin mittleren Alters in unsere Sprechstunde mit zufällig entdecktem erhöhtem Kalziumwert. Dieser betrug 3.05 mmol/l bei Normwerten bis max 2.5 mmol/l, passend hierzu auch ein erhöhter Parathormonwert von 295 ng/l bei Normwerten bis max. 65 ng/l. Auf Nachfrage beklagt die Patientin sich über eine ausgeprägte Müdigkeit und Gleichgültigkeit als auch über Knochenschmerzen. In der Knochendichtemessung findet sich eine beginnende Osteoporose. Im Ultraschall vermutet man ein Nebenschilddrüsenadenom rechts, was mittels Nebenschilddrüsenszintigrafie (vgl. Bildnachweis) bestätigt wird. Eine Operation wird nun geplant.
Querschnitt: Fusionsbild einer Nebenschilddrüsenszintigrafie mit aufleuchtendem Nebenschilddrüsenadenom (kräftig gelb) am Unterpol der rechten Schilddrüse.
Längsschnitt: Am oberen Bildrand ist ersichtlich, dass sich auch die Speicheldrüsen (natürlicherweise) mit etwas Kontrastmittel angereichert haben.
Therapie
In der Regel wird eine vergrösserte, übermässig aktive Nebenschilddrüse operativ entfernt und die Krankheit damit geheilt. Bei milden Formen kann auch abgewartet werden. Spätestens bei verstärkten Symptomen, Schäden am Knochen oder wiederkehrenden Nierensteinen entfernt man die vergrösserte Nebenschilddrüse.
Überbrückend oder bei fortgeschrittenem Alter mit weiteren einschränkenden Krankheiten kann zur Senkung des Kalzium-Wertes medikamentös behandelt werden. Dies behebt allerdings nicht die Ursache, sondern reduziert lediglich
den Messwert. Darüber hinaus müssen die Knochen behandelt werden, um deren Dichte zu erhalten, idealerweise gar zu erhöhen.
Vor einer operativen Therapie muss geklärt sein, welche der Nebenschilddrüsen erkrankt ist, um die richtige entfernen zu können. Der Eingriff in Vollnarkose ist wenig belastend und hat in der Regel eine Übernachtung im Spital zur Folge. Während der Operation muss die erkrankte Nebenschilddrüse hinter der Schilddrüse identifiziert werden. Die Nebenschilddrüsen zu erkennen, ist jedoch schwierig, da sie erstens sehr klein sind und zweitens sehr einfach mit Fettgewebe oder Lymphknoten verwechselt werden können. Die Erfahrung der Chirurgin oder des Chirurgen ist daher ein äusserst wichtiger Faktor bei dieser Operation. Eine Parathormonmessung während der Operation bietet zusätzliche Unterstützung und zeigt, ob die richtige Nebenschilddrüse entfernt wurde. Dabei macht man sich zunutze, dass das Hormon nur eine kurze Halbwertszeit hat. Ein Abfall des Werts kann bereits wenige Minuten nach Entfernung der überproduzierenden Nebenschilddrüse gemessen werden. Ist der Wert gesunken, kann davon ausgegangen werden, dass die kranke Nebenschilddrüse entnommen wurde und keine weitere kranke Nebenschilddrüse
mehr verblieben ist.
«Ein aktuelles bildgebendes Verfahren, das wir seit Neuestem auch im Spital Limmattal anwenden, ist die sogenannte Nearinfrared-Technologie: eine spezielle Kamera bringt die Nebenschilddrüsen zum Leuchten und macht sie erkennbar.»
So wird technikunterstützt etwas für das menschliche Auge sichtbar gemacht, das vorher nicht erkennbar war. Die Technik macht sich zunutze, dass das Nebenschilddrüsengewebe bei einer bestimmten Wellenlänge des Lichts (nahe dem Infrarotbereich –near-infrared) eine Autofluoreszenz hat und von selbst leuchtet. Folglich hat die Chirurgin oder der Chirurg während des Eingriffs eine optische Bestätigung dafür, das richtige Organ für die Entnahme vor sich zu haben. Dies erhöht die Sicherheit und verkürzt die Operationsdauer.
«Das Near-infrared-Verfahren ist nicht nur bei Nebenschilddrüsenerkrankungen anwendbar, sondern ist auch bei Operationen der Schilddrüse hilfreich.»
Bei Schilddrüsenoperationen sind die Nebenschilddrüsen gefährdet, da sie so klein sind und ihre durchblutenden Gefässe, von denen sie abhängen, sogar noch kleiner. Da die Nebenschilddrüsen mit blossem Auge kaum erkennbar sind, könnten sie von ihrer Durchblutung gekappt oder gar zufällig entfernt werden. Mit der Near-infrared- Kamera sind sie hingegen gut identifizierbar und bleiben verschont. So bietet diese Technik auch eine erhöhte Sicherheit bei Schilddrüsenoperationen.
Fazit
Erhöhte Kalziumwerte im Blut sollten nachkontrolliert und bei Fortbestehen weiter abgeklärt werden. Erhöhtes Kalzium im Blut ist für den Patienten praktisch nicht bemerkbar. Die Knochengesundheit leidet jedoch erheblich, es
kann eine Osteoporose daraus entstehen. Im Schilddrüsenzentrum des Spitals Limmattal können sich Patientinnen und Patienten melden oder angemeldet werden. Wir kümmern uns alsdann um die weiteren Abklärungen – zum Beispiel eine Knochendichtemessung. Sollte sich eine Erkrankung bestätigen, bestimmen wir das Risikoprofil der Patientin oder des Patienten. Gegebenenfalls leiten wir eine operative Therapie in die Wege. Im LIMMI werden die technikunterstützten bildgebenden Verfahren (near-infrared) angeboten und während der Operation genützt, um ein optimales Ergebnis der Behandlung zu erzielen. Die Kamera weist uns den Weg zur leuchtenden Nebenschilddrüse.
Autorinnen
Dr. med. Franziska Grafen
Leiterin Endokrine Chirurgie
Chefarzt-Stellvertreterin Chirurgische Klinik
Dr. med. Julia Kempf
Stv. Leitende Ärztin endokrinologie
Schilddrüsenzentrum Limmattal
Urdorferstrasse 100
8952 Schlieren
+41 44 733 22 47