Ratgeber| 27.12.2022

Endometriose – Krankheit der vielen Gesichter

Vor rund zwei Jahren habe ich an dieser Stelle den ersten Ratgeber-Artikel zum Thema Endometriose geschrieben. Seither ist das Medieninteresse an der
Krankheit sprunghaft gestiegen.

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von Dr. med. Simone Kamm

Es sind unzählige Berichte, Radiobeiträge und Fernsehsendungen sowie Texte zur Endometriose veröffentlicht worden. In unserem zertifizierten Endometriosezentrum steigt die Anzahl der Konsultationen und Operationen ebenfalls kontinuierlich an.

Arbeitsfrei wegen der Menstruationsschmerzen

Politisch steht das Thema ebenso im Fokus. Im Januar 2022 hatte Emmanuel Macron persönlich eine «nationale Strategie im Kampf gegen die Endometriose» angekündigt. Es sei nicht ein Problem der Frauen alleine. Vielmehr handle es sich um eine Erkrankung, der sich die ganze Gesellschaft annehmen müsse. Australien hatte ­bereits 2018 eine solche Strategie in die Wege geleitet.

In Spanien seit 2022, in einigen asiatischen Ländern schon seit Jahren und seit kurzem auch in der städtischen Verwaltung der Stadt Zürich haben Frauen das Recht, wegen Menstruationsschmerzen ein paar Tage im Monat der Arbeit fernzubleiben.

Die Menstruationsschmerzen (von lateinisch: «menstruus» – monatlich) sind das Hauptsymp­tom einer Endometriose. Die ­allermeisten Frauen haben auch ohne Endometriose Menstruationsschmerzen. Meistens ­helfen jedoch ein oder zwei geeignete Schmerzta­bletten und die betroffene Person bewältigt weiterhin ihren Alltag.

Symptomatik und Diagnose: Lange Leidensgeschichten

In der spezialisierten Endometriosesprechstunde des Spitals Limmattal klingen die Geschichten oft anders. Die jungen Frauen kommen nach einem meist sehr langen Leidensweg (Diagnoseverzögerung von bis zu 10 Jahren) zu uns und berichten mehr oder weniger Varianten der folgenden Kernaus­sagen:

«Ich war schon bei mehreren Ärztinnen und Ärzten, bis jetzt konnte mir niemand ­helfen.»

«Ich habe seit meiner ersten Periode unerträgliche Periodenschmerzen. Anfangs habe ich monatlich mindestens einen Tag in der Schule gefehlt, bis mir die Pille verschrieben wurde. Dann war es lange Zeit besser. Nach jahrelanger Pilleneinnahme habe ich sie vor einem Jahr abgesetzt. Zuerst hatte ich keine Probleme, nun sind die ­schrecklichen Schmerzen wieder schlimmer geworden.»

«Die Schmerzen beginnen schon zwei Tage vor Beginn der Blutung und bleiben über eine Woche. Die Schmerzmittel, die ich bekommen habe, nützen nichts mehr. Ich kann mich kaum aus dem Haus bewegen.»

«Die Unterleibsschmerzen zerreissen mich fast, strahlen in die Beine und in den Rücken aus. Manchmal falle ich in Ohnmacht, muss mich übergeben und der Darm spielt verrückt.»

«Inzwischen habe ich ähnliche Schmerzen während des ­Eisprungs und manchmal einfach so, irgendwann während des Zyklus.»

«Eine Darmspiegelung war unauffällig. Es sei ein Reizdarm, sagte der Magen-Darm-Spezialist.»

Auf weiteres Nachfragen erzählen die betroffenen Frauen häufig von Schmerzen während und nach dem Geschlechtsverkehr. Schmerzfreie Tage sind selten, die Furcht vor den Schmerzen ist allgegenwärtig.

Entstehung der Krankheit ist weiterhin unbekannt

Die Ursache der Krankheit ist weiterhin unbekannt. Am wahrscheinlichsten entsteht sie in der Gebärmutter selbst, die Wissenschaft ist sich jedoch uneinig. Worüber hingegen Gewissheit besteht: Gewebe, das jenem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, verbreitet sich ausserhalb der Gebärmutter: im Bauchraum, an den Eierstöcken, den Beckenwänden, dem Zwerchfell, zwischen Darm und Scheide, in der Blase oder selten sogar in der Lunge.

Die Effekte sind Knoten, Verwachsungen und eine chronische Entzündung. In der Folge können verschiedenste Beschwerden auftreten, die Krankheit hat viele Gesichter: einerseits können schon wenige Endometriose-Herde am Bauchfell unerträgliche Schmerzen verursachen. Andererseits ist gelegentlich «der Bauch voller Endometriose» und die Patientin bekommt es gar nicht mit.

Endometriosezentrum Spital Limmattal hilft

Neben einem ausführlichen Gespräch und einer gezielten Befragung führen wir im Endometriosezentrum Spital Limmattal eine umfassende, spezialisierte gynäkologische Untersuchung, inklusive Ultraschall, durch. Unser interdisziplinäres Team bespricht mit den Patientinnen die Krankheit und sämtliche Behandlungsmöglichkeiten von medikamentös bis operativ.

Neben der operativen Therapie setzen wir oft sogenannte Hormontherapien ein. Ziel ist es, die Gebärmutterschleimhaut und das Endometriosegewebe zu überlisten, ruhigzustellen und so die Schmerzen einzudämmen. Die «Endometriosepille», eine normale Antibabypille im Dauerzyklus, oder die Hormonspirale stehen hierfür zur Verfügung.

Darüber hinaus gehören unterschiedliche Schmerzmittel zum Standard der Symptom­bekämpfung. Verschiedenste ­komplementäre Ansätze, wie multimodale Schmerztherapie, Sexualberatung, Physiotherapie, Ernährungsumstellung oder chinesische Medizin, können zusätzliche Linderung verschaffen. Ebenso kann der Austausch unter den Betroffenen im Rahmen einer Behandlung hilfreich sein, zum Beispiel über die Plattform «endo-help». Dank der interdisziplinären Behandlung und interprofessionellen Vernetzung des Zentrums können wir unsere Patientinnen eng begleiten und die Lebensqualität nachhaltig verbessern.

Wichtiger Anfang eines noch langen Weges

Endometriose ist eine häufig auftretende chronische Krankheit mit teils einschneidenden Auswirkungen auf den Alltag und das Leben der Patientinnen. Rund zehn Prozent der weiblichen Bevölkerung leiden darunter, meist sind sehr junge Frauen betroffen. Frauen, die am ­Anfang ihres Arbeitslebens stehen, die sozial, sportlich und kulturell aktiv sind, die eine ­Beziehung sowie ihre Sexualität leben und eine Familie gründen möchten.

Es ist daher richtig und wichtig, dass viel über die Endometriose geschrieben wird und «alle» darüber reden, dass die Ärzteschaft besser informiert ist, die Wissenschaft mehr zum Thema forscht und die Politik ­finanzielle Mittel und nationale Strategien aufgleist oder zur Verfügung stellt. Es ist ein wichtiger Anfang eines noch langen Weges.

Dieser Artikel wurde am 20. Dezember 2022 in der Limmattaler Zeitung publiziert.

Autorin
Dr. med. Simone Kamm
Stv. Leiterin Endometriosezentrum Limmattal

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