Reizblase - Wenn der Harndrang den Alltag bestimmt
Ist das Erste, das sie an einem neuen Ort aufsuchen, die Toilette? Verfolgt Sie die ständige Angst, es könnte «etwas» in die Hose gehen? Rennen Sie bis zu 20-mal am Tag aufs WC? Viele Patientinnen und Patienten mit einer Reizblase können diese Fragen mit einem «Ja» beantworten.
von Med. pract. Mirjam Harms
Eine Reizblase (Overactive Bladder, OAB) betrifft beinahe 40 % der Erwachsenen beider Geschlechter. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer, mit steigendem Alter leiden mehr Menschen darunter. Für die Patientinnen und Patienten ist die Thematik oft mit Scham und Unbehagen verbunden und bedeutet häufig eine deutliche Minderung der Lebensqualität.Eine zusätzliche Möglichkeit, die Anzahl bei Blasenfunktionsstörungen durch. der Toilettengänge zu verringern, ist ein Training der Blase zur Vergrösserung ihres Fassungsvermögens. Unter physiotherapeutischer Anleitung wird – mit Beckenbodenübungen und durch ein sogenanntes Biofeedback – die Wahrnehmung für den Beckenboden geschult und die Muskulatur gestärkt. Sollte dennoch kein genügender Fortschritt eintreten, können Medikamente eine Verbesserung der Situation bewirken. Sogenannte Anticholinergika entspannen die Blase und verringern die Anzahl der Drangepisoden. Als Nebenwirkung kommt es gelegentlich zu einem trockenen Mund oder Verstopfung. Dem kann durch eine genügende Trinkmenge entgegengewirkt werden. Eine weitere Möglichkeit ist die medikamentöse Therapie mit Mirabegron, welches über einen anderen Mechanismus die Blase beruhigt.
Funktion und Fehlfunktion
Die Blase erfüllt ihre Funktion in zwei grundlegenden Phasen: Während der Speicherphase wird in der Niere produzierter Harn in der Blase gesammelt. Bei der anschliessenden Entleerungsphase wird der gesammelte Harn selbstbestimmt entleert. Die Phasen werden durch Nerven gesteuert und laufen in weiten Zügen automatisch ab, ohne unser bewusstes Zutun. Bewusst können wir nur die Blasenentleerung einleiten und unseren Schliessmuskel und die Beckenbodenmuskulatur betätigen. Der Blasenmuskel selber ist autonom. Bei der Reizblase stehen Symptome während der Speicherphase im Vordergrund. Die Patienten leiden unter einem sehr starken Harndrang, und das bereits bei einer geringen Blasenfüllung. Dieser Harndrang tritt in der Regel plötzlich auf und kann nicht unterdrückt werden. Kommt es zu einem ungewollten Urinverlust spricht man von einer nassen Reizblase (OAB wet), liegt kein Urinverlust vor, von einer trockenen Reizblase (OAB dry). Gelegentlich kann es zu Schmerzen vor, während oder nach der Blasenentleerung kommen. Einige Betroffene berichten auch über eine häufige Blasenentleerung während der Nacht und infolgedessen über einen nicht erholsamen Schlaf.
Abklärung
Im Erstgespräch werden die genauen Symptome abgefragt. Ein Fragebogen hilft uns dabei, die Symptome präziser einzuordnen. Zur genaueren Beurteilung ist ein durch die Patientinnen und Patienten geführtes Blasentagebuch sehr hilfreich. Dort werden über zwei bis drei Tage hinweg die Urin- und Trinkmengen notiert, um ein exaktes Bild von der Problematik zu bekommen. Damit ein Harnwegsinfekt ausgeschlossen werden kann, sollte eine Urinuntersuchung erfolgen. Ein Ultraschall und eine Harnstrahlmessung mit Kontrolle des Restharns ergänzen die Basisuntersuchung.
Als weiterführende Untersuchung kann mittels einer Blasenspiegelung die Schleimhaut von innen genau inspiziert und können Zellen entnommen werden, um eine bösartige Erkrankung der Blase auszuschliessen. Sollte sich trotz ausgebauter Therapie keine Besserung der Symptome einstellen, wird mit einer urodynamischen Untersuchung genau ausgemessen, wie sich die Blase während der Speicherund Entleerungsphase verhält.
Konservative Therapie
Im ersten Schritt stellen wir das Trinkverhalten der Betroffenen in den Fokus. Eine ausreichende, aber nicht übermässige Trinkmenge über den Tag verteilt, mit einer Reduktion am Abend vor dem Schlafengehen, kann bereits eine Verbesserung der Symptome bewirken. Zusätzlich sollten stark harntreibende oder reizende Substanzen und Lebensmittel wie Kaffee, Nikotin, Pfeffer und Chili reduziert oder vermieden werden.
Eine zusätzliche Möglichkeit, die Anzahl der Toilettengänge zu verringern, ist ein Training der Blase zur Vergrösserung ihres Fassungsvermögens. Unter physiotherapeutischer Anleitung wird – mit Beckenbodenübungen und durch ein sogenanntes Biofeedback – die Wahrnehmung für den Beckenboden geschult und die Muskulatur gestärkt.
Sollte dennoch kein genügender Fortschritt eintreten, können Medikamente eine Verbesserung der Situation bewirken. Sogenannte Anticholinergika entspannen die Blase und verringern die Anzahl der Drangepisoden. Als Nebenwirkung kommt es gelegentlich zu einem trockenen Mund oder Verstopfung. Dem kann durch eine genügende Trinkmenge entgegengewirkt werden. Eine weitere Möglichkeit ist die medikamentöse Therapie mit Mirabegron, welches über einen anderen Mechanismus die Blase beruhigt.
Manchmal führt auch erst eine Kombination von zwei Medikamenten zum Erfolg.
Weitere nicht operative Verfahren, wie beispielsweise die PTNS/TENS, bewirken durch eine elektrische Stimulation des Tibialis-Nervs am Schienbein eine sogenannte Neuromodulation. Dabei wird Strom über Klebe- oder Nadelelektroden geleitet und die Behandlung in der Regel ein- bis zweiwöchentlich wiederholt. Die Patientinnen und Patienten spüren nur ein leichtes Kribbeln während der rund halbstündigen Therapie. Mit der Zeit führt das Verfahren zu einer Veränderung der Nervenimpulse zur Blase und dadurch zu einer deutlichen Verbesserung der Reizblasen- Symptome. Insbesondere bei Personen, die auf eine medikamentöse Therapie nicht ansprechen, erzielen wir mit dieser Methode sehr gute Behandlungserfolge.
Operative Therapie
Wenn die konservativen Therapien ausgeschöpft sind oder die Medikamente nicht vertragen werden, ziehen wir gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten weitere Optionen in Betracht. Zum Beispiel kann nach einer genauen urodynamischen Untersuchung der Blase Botulinumtoxin (besser bekannt als Botox) gespritzt werden: Während einer Blasenspiegelung und unter einer kurzen Narkose erfolgt die Injektion mit einer feinen Nadel direkt in den Blasenmuskel. Botox ist ein Nervengift und führt zu einer Hemmung der Nervenimpulse am Blasenmuskel. Die Wirkung von Botox hält neun bis zwölf Monate an, danach kann der Eingriff wiederholt werden. In ganz seltenen Fällen ist die Blasenentleerung nach der Behandlung vorübergehend erschwert. Eine weitere operative Möglichkeit ist die Einpflanzung eines Nervenschrittmachers (sakrale Neurostimulation). Dabei werden Elektroden im Bereich des Kreuzbeins implantiert, um (ähnlich wie beim PTNS/TENS) über elektrische Impulse eine Veränderung der Nervensignale zur Blase herbeizuführen. Dieser Eingriff wird jedoch nur in spezialisierten Zentren durchgeführt.
Zusammenfassend ist die Reizblase eine Erkrankung mit ausgeprägtem Leidensdruck auf der Seite der Patientinnen und Patienten. Nach einer sorgfältigen Abklärung steht ein grosses Arsenal an therapeutischen Optionen zur Verfügung. In der urologischen Klinik im Spital Limmattal führen wir interdisziplinär umfassende Abklärungen, Beratungen und Therapien bei Blasenfunktionsstörungen durch.