Ratgeber| 25.08.2020

Delir – akute Verwirrtheit: Weshalb und was tun?

Herr M., ein 83-jähriger, rüstiger Rentner, ist zu Hause gestürzt und hat sich den Oberschenkelhalsgebrochen.

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von Gabriela Soom, Pflegeexpertin MScN - Operative Kliniken - Intensivpflege

Herr M. liegt mit frisch operiertem Bein im Spital. Seine Frau ist zu Besuch und sehr beunruhigt. Herr M. besteht darauf, aufzustehen, möchte sofort nach Hause und versucht, sich die Infusion herauszuziehen. Die Erklärungen seiner Frau, was geschehen ist und wo er sich befindet, versteht er nicht. Erfühlt sich von der Pflegefachperson bedroht. Als diese ein Medikament bringt, schlägt er es ihr aus der Hand. Seine Frau entschuldigt sich und versichert,dass sie ihren Mann auf diese Art gar nicht kenne. Er sei völlig "neben der Spur".

Weshalb versteht Herr M. nicht, was geschehen ist, und verhält sich so?

Herr M. ist nach der Operation in seiner Orientierung und Wahrnehmung eingeschränkt. Er leidet an einem sogenannten postoperativen Delir.

Was isteinDelir?

Diese akute Verwirrtheit, auch Delir genannt, zeigt sich in einer plötzlich auftretenden Veränderung im Verhalten des Patienten. Delirium leitet sich ab vom lateinischen "delirare" oder "delira". Es bedeutet, "ausserhalb einer vorgegebenen (Wagen-)Spur zu sein". Dabei sind Wahrnehmung, Erkennen, Denken, Bewusstsein und Handeln über Tage verändert. Es handelt sich um eine von den Nerven ausgehende Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörung, die zur Beeinträchtigung von geistigen Funktionen und zu Wahrnehmungsveränderungen führen kann. Typischerweise tritt das Delir innerhalb weniger Stunden oder Tage auf. Es gibt drei verschiedene Formen. Diese werden nach dem Grad des Bewegungsdrangs in drei Formen unterteilt (hyperaktives, hypoaktives oder gemischtes Delir). Die Beschwerden  verändern sich jeweils im Laufe des Tages. Obwohl meistens eine vollständige Erholung eintritt, weist etwa ein Drittel aller Patienten dauerhafte mentale Defizite auf, vor allem wenn bereits vorher eine Beeinträchtigung vorhanden war. Häufige Folgen sind eine deutlich erhöhte kurz- und mittelfristige Sterberate, Komplikationen (z.B. Lungenentzündungen, Stürze, Verschlechterung der Alltagsfunktionen) sowie eine höhere Heimeinweisungsrate. Patienten im Delir benötigen bis zu vier Mal mehr Pflegestunden, bleiben länger im Spital und erholen sich schlechter. Ein akut verwirrter Mensch spürt oft, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Er erlebt seinen Zustand als real und verhält sich teilweise, ohne es zuwollen, unangemessen. Erbrauchtsanfte Unterstützung und viel Verständnis, um in die Realität zurückzufinden. Einige Patientenerinnern sich im Nachhinein an das Erlebte. Ein aufklärendes Gespräch hilft oft gegen die möglichen Schuld- und Schamgefühle.

Wie häufig kommt ein Delirim Spital vor?
  • 10 bis 50% allerPatienten
  • Intensivstation: ca. 80%
  • nach Herzoperationen: bis zu 50%
  • nach Schenkelhalsfrakturen, postoperativ: bis zu 65%
  • >50% Patienten mit vorbestehender Demenz
Was verursacht oder begünstigt ein Delir?

Ein Delir kann in jedem Alter auftreten. Ältere Menschen, vor allem jene mit vielen  Begleiterkrankungen oder einer Demenz, sind jedoch besonders anfällig. Der Schweregrad der akuten Erkrankung beeinflusst die Entwicklung eines Delirs ebenfalls.

Folgende Ursachen können zu einem Delir führen:
  • Verletzungen oder Erkrankungen (z.B. Infektionen,Stoffwechselstörungen)
  • Schmerzen
  • Spitalaufenthalt
  • Gewisse Medikamente
  • Nahrungs-/Flüssigkeitsmangel
  • Stress/Reizüberflutung (z.B. unvertraute Umgebung, Geräusche, unbekannte Personen, Untersuchungen/Therapien)
  • Absetzen von Nikotin, Alkohol, Drogen, Schlafmitteln
  • Probleme beim Wasserlassen und Verstopfung
  • BeeinträchtigungderWahrnehmung (z.B. fehlende Brille,Hörgerät)
Wie wird ein Delir behandelt?

Bei einem Delir versuchen wir die Ursache zu ermitteln und darauf zureagieren. Zusätzlich reduzieren wir alle störenden Umweltfaktoren. Wir organisieren fehlende Orientierungshilfen wie Uhr, Kalender, Brille oder Hörgerät und versuchen, mit nicht medikamentösen Massnahmen Einfluss zunehmen. Allenfalls ist es bei grosser Unruhe und Halluzinationen notwendig, Medikamenteeinzusetzen. Einpostoperatives Delir dauert erfahrungsgemäss ein bis vierTage.

Kann man einem Delir vorbeugen?

Je früher ein Delir erkannt wird, umso besser können wir diesem ohne Medikamente und durch das Vermeiden von Risikofaktoren entgegenwirken. Es existiert eine Vielzahl von Erfassungsinstrumenten. Die Pflegenden im Spital Limmattal prüfen die Patienten systematisch auf ihr Delir-Risiko. Alle betreuenden Berufsgruppen arbeiten eng zusammen, damit wir gefährdete Personen möglichst früh erkennen und vorbeugend behandeln können.

Wie sollen sich Angehörige verhalten?

Besuche von Angehörigen und Freunden sind wichtig. Sie vermitteln Sicherheit in der fremden Umgebung.

  • Menschen im Delir haben Probleme mit der Aufmerksamkeit. Deshalb empfehlen wir einen Besuch von höchstens zwei Personengleichzeitig.
  • Menschen im Delir haben Schwierigkeiten,sich für etwas zu entscheiden. Einfacher ist es, wenn klare, geschlossene Fragen gestellt werden, die mit ja oder nein beantwortet werden können (nicht: "Möchtest du Kaffee, Wasser oder Tee?", sondern "Möchtest du einen Tee?").

Menschen im Delir ermüden schneller. Dennoch ist es für die betroffenen Menschen wohltuend, wenn eine bekannte Person bei ihnen sitzt und ihnen Gesellschaft leistet. 

In unserer Informationsbroschüre "Patienten mit Verwirrtheit im Akutspital" erhalten die Angehörigen Informationen zum Delir, Antworten auf die häufigsten Fragen und Verhaltens-Tipps für einen Besuch.

Herr M. hat sich glücklicherweise schnell wiedererholt. Seine Frau hat ihm seine Uhr und seine Hörgeräte gebracht. Sie konnte beruhigend auf ihn einwirken, nachdem ihr von den Pflegen den und den Ärzten erklärt wurde, was ein Delir ist und dass dieses ein vorübergehender Zustand ist. Die Pflegenden sorgten für eine möglichst stressfreie Umgebung, achteten zusammen mit den Ärzten darauf, dass Herr M. gut mit Schmerzmitteln versorgt ist und keine unnötigen Medikamente erhält. Zudem wurden möglichst früh alle Schläuche/Katheter entfernt und Herr M. wurde in seiner Mobilitätunterstützt.

Autorin
Gabriela Soom
Pflegeexpertin MScN: Operative Kliniken und Intensivpflege

Spital Limmattal
Urdorferstrasse 100
8952 Schlieren

+41 44 733 11 11

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