Erst einmal viel mehr trinken
"Antibiotikaresistenz ist eine ernsthafte Bedrohung, welche nicht länger einer Vorhersage der Zukunft entspricht, sondern die ganz real im Hier und Jetzt existiert und jede Region weltweit betrifft und jeden, jeden Alters und in jedem Land möglicherweise betreffen kann." (WHO 2014)
Alleine in Europa verursachen Antibiotika-Resistenzen jährlich 33’000 Todesfälle, weltweit werden pro Jahr mehr als 150 Millionen Harnwegsinfektionen diagnostiziert. Die dadurch entstehenden Kosten belaufen sich auf mehrere Milliarden. Jede zweite Frau ist in ihrem Leben von Harnwegsinfekten betroffen. Ein Viertel davon wird in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten unter wiederholten Infekt-Episoden des Harntraktes leiden.
Med. Pract. Sharon Weisbrod
PD Dr. med. Alexander Müller
Antibiotika als Wunderwaffen droht der Wirkungsverlust
Wiederkehrende Harnwegsinfekte sind für die betroffenen Frauen nicht nur äusserst lästig und unangenehm, sondern führen zudem zu wiederholten Arztbesuchen, teilweise unnötigen Einsätzen von Antibiotika und einem deutlichen Verlust der Lebensqualität. Eine wiederholte Gabe von Antibiotika kann zu steigenden Resistenzen der Bakterien und damit zum Wirkungsverlust führen. Neuste Daten belegen, dass zusätzlich dazu Kollateralschäden auftreten können: Der Einfluss von Antibiotika auf unsere "guten Bakterien" (z.B. der natürlichen Darmflora) kann möglicherweise schädigende Auswirkungen auf unseren Körper haben. Daher ist es äusserst wichtig, Antibiotika mit Bedacht und nur gezielt einzusetzen. Darüber hinaus sind alternative Therapiemöglichkeiten auszuschöpfen, um den Betroffenen zu helfen und gleichzeitig den Einsatz von Antibiotika einzugrenzen und zu minimieren.
Was kann gegen wiederkehrende Harnwegsinfekte getan werden?
Die erste Empfehlung ist das Steigern der Trinkmenge um ca. 1,5 Liter pro Tag, zusätzlich zur üblichen Trinkmenge.
Durch die somit gesteigerte Urinproduktion werden Bakterien stärker ausgespült und wird deren potenzielle Verweildauer im Harntrakt reduziert. Studien belegen, dass allein durch die Erhöhung der Trinkmenge um 1,5 Liter pro Tag rund 50 Prozent weniger Frauen wiederkehrende Harnwegsinfekte aufweisen.
Ein weiterer wichtiger Ansatz ist gute Hygiene im Intimbereich. Hierbei ist zu beachten, dass häufig vor allem junge Frauen eine übertriebene Hygiene betreiben. Der gute Wille ist an dieser Stelle leider kontraproduktiv, da auch die "guten Bakterien", welche in der Abwehr gegen Infekte unerlässlich sind, durch die übertriebene Hygiene verdrängt werden und somit den Infekt verursachenden Bakterien den Weg bahnen.
Ausserdem kann die Art der Verhütung bei wiederkehrenden Harnwegsinfekten eine Rolle spielen. Vor allem der Wirkstoff Nonoxinol 9, welcher als spermienabtötende Substanz in Gleitmitteln oder als Kondombeschichtung eingesetzt wird, scheint problematisch: Er kann die natürliche Schleimhautbarriere der Vagina angreifen, was zu einer Verminderung der schützend wirkenden Laktobazillen führen kann. Daher sollte auf die Verwendung von Nonoxinol-9-freien Produkten geachtet werden. Prophylaktisch kann ein zeitnahes Urinlösen nach dem Geschlechtsverkehr vorteilhaft sein.
Bei Frauen nach den Wechseljahren kann es aufgrund von hormonellen Umstellungen zu einer Veränderung und verringerten Widerstandsfähigkeit der vaginalen Schleimhaut kommen. Frauen, welche eine störende Scheidentrockenheit empfinden, ist zu empfehlen, ärztlichen Rat einzuholen: Eine lokale Behandlung mit östrogenhaltigen Salben oder Scheidenzäpfchen kann zu einer verringerten Infektanfälligkeit beitragen.
Bei den ersten Anzeichen eines Harnwegsinfektes kann auch initial mit anti-entzündlichen und schmerzlindernden Medikamenten wie Ibuprofen oder Diclofenac begonnen werden. Studien belegen, dass diese Medikamente bei einfachen Harnwegsinfekten ähnliche Ansprechraten aufweisen wie die Gabe von Antibiotika. Allenfalls kann also auf eine Antibiotikagabe verzichtet werden.
Das Bakterium E. coli ist am häufigsten für Harnwegsinfekte verantwortlich. Speziell bei diesem Bakterium kann eine Art Impfung in Tablettenform erwogen werden. Diese kann die wiederkehrende Infektrate um 40 Prozent senken.
Wann sind weitere Abklärungen notwendig?
Grundsätzlich sollten Urinuntersuchungen vor jeglicher Antibiotikagabe vorgenommen werden. Dabei ist auf eine möglichst sterile Gewinnung der Urinprobe zu achten. Bei Männern entspricht dies nach Desinfektion der Eichel dem Mittelstrahlurin, bei Frauen vorteilhafterweise die Uringewinnung über einen Einmalkatheter. Weiterführende Abklärungen werden empfohlen, falls die erwähnten Massnahmen nicht ansprechen oder zusätzlich Risikofaktoren (z.B. Steine des Harntraktes, anatomische Anomalien, neurologische Erkrankungen, Diabetes, chronische Erkrankungen, Immunsuppression, Prostatavergrösserung etc.) vorhanden sind. Sollten wiederholte Einsätze von resistenzgerechten Antibiotika nicht zur Verringerung der Infektepisoden (weniger als vier pro Jahr) führen und Fieberepisoden oder Blutbeimengungen im Urin auftreten, sind Abklärungen durch spezialisierte Fachärzte zu empfehlen.
Das Wichtigste in Kürze
- Steigerung der Trinkmenge zusätzlich um 1,5 Liter pro Tag
- Gesunde, aber nicht übertriebene Hygiene im Intimbereich
- Harnlösen nach dem Geschlechtsverkehr
- Auf Verhütungsmittel mit dem Wirkstoff Nonoxinol 9 verzichten
- Frauen nach den Wechseljahren können nach Absprache mit ihrem behandelnden Arzt von einer lokalen Östrogenanwendung im Scheidenbereich profitieren
- Einsatz von Preiselbeerextrakt «nützt’s nüt – schadt’s nüt»!
- Initialer Einsatz von antientzündlichen und schmerzlindernden Medikamenten, z.B. Ibuprofen oder Diclofenac anstelle eines Antibiotikums
- Bei wiederkehrenden Infekten mit E. coli kann eine Immuntherapie erwogen werden
- Mitbeurteilung durch spezialisierte Fachärzte
- Eine asymptomatische Bakterieurie sollte nicht behandelt werden
- Weniger Antibiotika verabreichen
- Die richtige Substanz für die richtige Indikation
- Kürzere Therapiedauer
Dieser Artikel wurde am 19. Februar 2019 in der Limmattaler Zeitung publiziert.
Autor
Med. Pract. Sharon Weisbrod , Oberarzt Urologie
PD Dr. med. Alexander Müller , Chefarzt Urologie
Spital Limmattal
Sekretariat Urologische Klinik
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